Hans Neurath Award für Marina Rodnina

9. Februar 2015
Marina Rodnina, Direktorin am Göttinger Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie, erhält den Hans Neurath Award 2015. Dies gab die Protein Society am vergangenen Donnerstag bekannt. Mit der Auszeichnung würdigt die Gesellschaft die bahnbrechenden wissenschaftlichen Leistungen Marina Rodninas auf dem Gebiet der Ribosomenforschung.

„Diese Auszeichnung ist eine sehr erfreuliche Anerkennung unserer Arbeit“, sagte die Preisträgerin Marina Rodnina nach der Bekanntgabe durch die Protein Society. In ihrer Erklärung zur Vergabe der Auszeichnung betonte die Gesellschaft die wegweisenden Entdeckungen der Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Proteinbiosynthese. Marina Rodnina habe dazu beigetragen, die hohe Präzision bei der Proteinherstellung zu verstehen. Sie konnte zentrale Prinzipien der Funktionsweise der Ribosomen aus Bakterien aufklären und grundlegende Erkenntnisse über die Evolution des Ribosoms gewinnen. Schlüssel zu ihrem Erfolg sei ein außergewöhnlich umfassender biochemischer Ansatz, kombiniert mit quantitativen biophysikalischen und strukturellen Methoden, der für die Forschung an einer solch hochkomplexen molekularen Maschine einzigartig sei.

Die Proteinbiosynthese in der Zelle, die im Fokus der Forschung von Marina Rodnina steht, ist einer der grundlegenden Prozesse des Lebens. Als „molekulare Arbeiter“ sind Proteine an praktisch allen zellulären Vorgängen beteiligt. Sie transportieren zelluläre Fracht, empfangen und übermitteln Signale, erzeugen Energie oder katalysieren chemische Reaktionen. Die Bauanleitungen für die Proteine sind als genetische Information in der DNA einer jeden Zelle gespeichert. Bei der Proteinbiosynthese wird diese genetische Information in eine Kette von Aminosäuren übersetzt, die sich dann zu der dreidimensionalen Struktur des Proteins faltet. Für diese Übersetzung – Translation genannt – ist das Ribosom zuständig. Diese komplexe Miniatur-Maschinerie besteht aus über 50 Proteinkomponenten und drei bis vier Ribonukleinsäure-Molekülen, die zu einer kleinen und einer großen Untereinheit zusammengesetzt sind.

In jeder Zelle gibt es viele Tausende Ribosomen. Mit einem Durchmesser von 20 bis 30 Nanometern (millionstel Millimeter) sind diese molekularen Maschinen winzig. Ihre Funktionsweise lässt sich daher nur mit großem Aufwand untersuchen. Marina Rodnina und ihr Team nutzen dazu verschiedene biophysikalische Methoden wie Fluoreszenzmessungen und schnelle kinetische Techniken. Ihre Abteilung setzt weltweit Maßstäbe darin, diese komplexen Methoden für die Ribosomenforschung weiterzuentwickeln und anzuwenden.

„Uns interessiert ganz besonders die strukturelle Dynamik des Ribosoms. Während es Proteine herstellt, wandelt es beständig seine Form. Wir wollen diese Veränderungen sichtbar machen, um sie besser zu verstehen“, erzählt die Max-Planck-Forscherin. Darüber hinaus untersucht sie mit ihrem Team „absichtliche“ Fehler des Ribosoms: Gelegentlich muss die molekulare Maschine einen scheinbaren Fehler machen, um ungewöhnliche Aminosäuren in ein Protein einzubauen. Rodnina möchte verstehen, welche molekularen Mechanismen diese Ausnahmen von der Regel steuern.

Für die nächsten Jahre hat sich die Wissenschaftlerin noch einiges mehr vorgenommen. „Wir möchten unsere Methoden zukünftig anwenden, um die Proteinproduktion in humanen Zellen zu untersuchen – ein System, das noch sehr viel komplexer ist“. Die Arbeitsweise des Ribosoms im Detail zu kennen, ist zudem für die Medizin von großer Bedeutung. Viele Antibiotika wirken auf die Translation in Bakterien, weil sich Ribosomen von Bakterien und höheren Organismen in wichtigen Details unterscheiden. Solche Antibiotika hemmen nur die bakterielle Proteinfabrik, die Ribosomen höherer Zellen dagegen bleiben verschont. Ein genaues Verständnis der Struktur und Funktion des Ribosoms ist daher unerlässlich, um zukünftig neue Antibiotika entwickeln zu können.

Der Hans Neurath Award wird auf dem 29. Symposium der Protein Society überreicht, das vom 22. bis 25. Juli 2015 in Barcelona (Spanien) stattfindet. (fk/cr)

Über die Preisträgerin

Marina Rodnina hat in Kiew Biologie studiert und dort 1989 promoviert. Anschließend kam sie mit einem Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung an die Universität Witten/Herdecke, wo sie von 1992 bis 1997 als wissenschaftliche Assistentin arbeitete. Nach der Habilitation 1997 wurde sie dort zur Universitätsprofessorin berufen und hatte von 2000 bis 2009 den Lehrstuhl für Physikalische Biochemie inne. Im Jahr 2008 wurde sie als Direktorin an das Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen berufen, wo sie seitdem die Abteilung Physikalische Biochemie leitet. Sie ist Mitglied der European Molecular Biology Organisation (EMBO) und seit 2008 auch Mitglied der deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. 

Über den Hans Neurath Award

Der Hans Neurath Award ist benannt nach dem Biochemiker Hans Neurath (1909-2002), einem Pionier der modernen Proteinforschung. Mit dem Preis, der von der Hans Neurath Foundation gestiftet wird, ehrt die Protein Society jährlich Wissenschaftler, die vor kurzem einen besonders verdienstvollen Beitrag zur grundlegenden Proteinforschung geleistet haben. Die Protein Society ist eine internationale wissenschaftliche Gesellschaft, die sich der Forschung an Proteinen widmet. Sie gibt unter anderem die Fachzeitschrift Protein Science heraus.

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