Ganz der Opa

Max-Planck-Forscher entdecken, dass eine einzige Mutation die Regeln der Vererbung neu schreibt

1. August 2016

Unsere Blutgruppen, viele unserer Erbkrankheiten sowie eine Vielzahl weiterer Merkmale bei Menschen, Tieren und Pflanzen werden nach den sogenannten Mendelschen Regeln vererbt: Die Merkmale von Vater und Mutter werden bei der Weitergabe von einer Generation an die nächste immer wieder neu kombiniert. Wie Forscher vom Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie jetzt herausgefunden haben, reicht es aus, die Menge eines einzigen Proteins im Fadenwurm Caenorhabditis elegans zu erhöhen, um die Gesetze der Vererbung zu verändern. Die Ergebnisse der Forscher tragen dazu bei, besser zu verstehen, wie unsere Gene reguliert werden und könnten wichtige Impulse für neue Züchtungsmethoden liefern. (Nature Biotechnology, 1. August 2016)

Mit Kreuzexperimenten an Erbsenpflanzen entdeckte der Augustinermönch und Hilfslehrer Gregor Mendel vor 150 Jahren, dass bei sich sexuell fortpflanzenden Arten jedes Elternteil einen gleich großen genetischen Beitrag zu den Nachkommen leistet. Die Gene in jeder Generation werden so neu gemischt. Die nach ihm benannten „Mendelschen Regeln“ sind seither von grundlegender Bedeutung für die Tier- und Pflanzenzüchtung und die genetische Forschung.

Dass sich diese Regeln mit einer einfachen genetischen Manipulation außer Kraft setzen lassen, haben jetzt Wissenschaftler des MPI für biophysikalische Chemie in Göttingen gezeigt. Indem sie die Menge eines einzigen Proteins in den Zellen des Fadenwurms Caenorhabditis elegans künstlich erhöhten, verhinderten sie, dass sich die Gene von Mutter- und Vatertier nach der Befruchtung vermischen konnten.

Mendelsche Vererbung

„Normalerweise werden die auf den Chromosomen liegenden Gene von Vater- und Muttertier schon vor der ersten Zellteilung des einzelligen Embryos vermischt“, erklärt Henrik Bringmann, Leiter der Max-Planck-Forschungsgruppe Schlaf und Wachsein am MPI für biophysikalische Chemie. Die väterlichen und mütterlichen Chromosomen sind nach der Befruchtung zunächst als zwei getrennte Vorkerne vorhanden. Die Vorkerne verschmelzen dann in der sogenannten mitotischen Spindel, die an beiden Zellpolen verankert ist. Dabei vermischen sich die Chromosomen. Die mitotische Spindel verteilt die Chromosomen schließlich gleichmäßig auf die beiden Tochterzellen. Dazu binden Spindelfasern des einen Zellpols an die eine Hälfte der Chromosomen, Spindelfasern des anderen Zellpols an die andere Hälfte. Dann ziehen die Fasern die Chromosomen auseinander. 

„Wir haben diesen Prozess im Fadenwurm nun so verändert, dass die Vorkerne gar nicht erst verschmelzen, sondern getrennt bleiben“, erläutert Judith Besseling, wissenschaftliche Mitarbeiterin in Bringmanns Team. Mithilfe einer einzigen genetischen Mutation veränderten die Forscher dazu im Fadenwurm die Menge des Proteins GPR-1. GPR-1 reguliert, mit welcher Kraft die Zelle an den Spindelfasern zieht. „Mehr GPR-1 führte dazu, dass die Spindelfasern extrem unter Spannung standen und sich keine vollständige mitotische Spindel bilden konnte. So blieben die beiden Vorkerne auf Abstand. Das verhinderte von vornherein, dass sich die Gene von Vater und Mutter vermischen“, so Besseling weiter.

Genetisch identisch mit der Oma oder dem Opa

Bei der ersten Zellteilung entstehen aus einer solchen befruchteten Eizelle zwei Tochterzellen, von denen die eine nur Chromosomen des Vaters enthält, die andere nur jene der Mutter. Entwickelt sich aus diesen ein Embryo und wächst zu einem Wurm heran, besteht dieser also aus Zellen, die entweder nur mütterliche oder nur väterliche Erbinformationen enthalten. Auch die neuen Keimzellen dieses Wurms – die Eizellen oder Spermien – enthalten dann entweder ausschließlich die Gene des Vaters oder der Mutter. „Kreuzt man die Tiere dieser Generation untereinander, entstehen Enkel, die entweder genetisch mit ihrer Großmutter oder mit ihrem Großvater identisch sind“, erläutert Bringmann.

Der Biologe sieht vielfältige Anwendungsmöglichkeiten für die neue Technik: So eröffne sie neue Möglichkeiten, um die Regulation von Genen besser zu verstehen. Außerdem könne sie verwendet werden, um neue Züchtungsmethoden zu entwickeln. (hb/cr)

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